“Farbenkugel” und mehr …

Mit „Farbenkugel“ hat Detlef Lemme ein Kunstkonzept erfunden, das er vor allem in den Medien von Malerei und Drucktechnik realisiert. Zum Begriff „Farbenkugel“ kam er durch die Beschäftigung mit der Farbenlehre des Romantikers Philipp Otto Runge, der wie Lemme einen großen Teil seines Lebens in Hamburg verbracht hat. Farbe und wie sie zu Form kommt ist das zentrale Thema Lemmes und demnach auch Motiv seiner Malerei. Kugeln (altgriechisch = Sphären) zeigt er in ganz unterschiedlichen Versionen: als Baumformen, gerundete Strohballen oder Bergkuppen spielen sie eine Rolle in seinen Landschaftsbildern; zudem verwendet Detlef Lemme Kugeln in direkter Anlehnung an Runges Farbenlehre in Form von Planeten und als Prisma – also oberflächlich, ohne Anfang und Ende – wobei er mit seiner Aquarelltechnik besondere Fähigkeiten zur Darstellung von Farbräumen entwickelt hat.

Die Themen, über die Lemme mit und bei „Farbenkugel“ nachdenkt, sind von der Grundidee her zwar farbästhetisch, doch geben politische und gesellschaftliche Fragen immer wieder Anlass für neue Arbeiten.

Auch die Kommunikation über Kunst ist ihm ein Anliegen, und so bin ich jedes Jahr aufs Neue erfreut, wenn Detlef Lemme mir zum Jahresanfang als Neujahrsgruss ein kleines Aquarell zugeschickt: ein Lebenszeichen und Kunstsignal in Postkartengröße – oder es ist eine Grafik, ein Holzschnitt in kleiner Auflage, gedruckt und individuell koloriert – also ein Original.

Solch kleine Arbeiten zeigen genauso wie die größeren Werke des Künstlers seine Beschäftigung mit Fragen der Gegenwart: Es geht um Krieg und dessen Technik, etwa um Geschosse (engl. Bullet = Geschoss u. Kugel) der prosperierenden Firma Rheinmetall. Auch geht es um ökologische Fragen, wie das Aussterben der Bartenwale oder während der Corona-Pandemie um ein „Serum“ in einem schwarzem Quader; so jedenfalls benannte er eine 2020 entstandene Arbeit, die einen schwarzen Würfel zeigt, der in einem Handydisplay beunruhigend – weil völlig undurchsichtig – wirkt. Das Smartphone, im Druck vereinfacht dargestellt, taucht als Motiv mehrfach auf. Und seltsam, absichtlich mit der analogen und grob wirkenden Technik des Holzschnitts hergestellt, gelingt dem Künstler eine subtile Kritik an der Oberflächlichkeit heutiger Kommunikation.

Der, der sich hier mit sehr persönlichen Kunstäußerungen zeigt und Stellung bezieht, weiß wovon wir bei elektronischer Kriegsführung und Kommunikation reden, denn Detlef Lemme ist als 3-D-Visualisierer und Animator ausgewiesener Experte, wenn es um Programmierung und Ai geht. Dass er sich der alten und unmittelbaren Techniken von Aquarell und Holzschnitt bedient, ist allein schon deshalb bemerkenswert, weil er diese Verfahren angesichts und zu den Bedingungen der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung für seine künstlerisch kritische Kommentierung einzusetzen weiß. Seine Stimme ist demnach eine Gegenstimme – künstlerisch, die dem Intransparenten, Unübersehbaren und Unentscheidbaren, das mit Virtuellem und Digitalem so gut wie alles erfasst hat, etwas Überschaubares, Überprüfbares und Unmittelbares entgegenstellt.

Peter Funken, August 2024